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Alt 20.07.2009, 14:43   #1
knorhan
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Hotel Traube Tonbach"

War beeindruckt von der Bewertung und wollte sie euch vorstellen.
knorhan

Bewertung vom Restaurant "Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach"


Diese Ostern nutzten wir zu einer kulinarischen Reise nach Baiersbronn. Als krönenden Abschluss besuchten wir Harald Wohlfahrt in der Tonbach-Traube, die Lichtgestalt der Deutschen Kochszene der letzten Jahre (eher Jahrzehnte). Wer sich so lange auf den Spitzenplätzen aller wichtigen Rankings halten kann (obwohl „Modegags“ wie die Molekularküche eher ignoriert werden), muss einfach ein Meister seines Handwerks sein. Dass schon 2 Monate im Voraus keine Tische mehr am Abend verfügbar waren (selbst in den derzeitigen Krisenzeiten), spricht für sich – an den Wochenenden muss man mehr als ein Jahr im Voraus buchen!

Umfeld
Baiersbronn ist ja inzwischen weltberühmt für seine außergewöhnliche Dichte an Spitzenrestaurants. Das ist schon sehr bemerkenswert, denn eigentlich handelt es sich um eine Ansammlung vieler kleiner, verschlafener Weiler ohne besondere Highlights (verbunden durch eine vielbefahrene Bundesstraße, eine Landstraße und viele Stichstraßen). Die Landschaft ist hübsch, leicht bergig – nicht so spektakulär wie der Südschwarzwald mit seiner teils richtig alpinen Landschaft, eher schon an den Odenwald erinnernd. Allerdings liegt der Ort selbst auf ca. 600 Metern Höhe, die umliegenden Berge erreichen immerhin gut 1000 Höhenmeter. Es wird eine extrem große Auswahl an Wander- und Spazierwegen geboten, in der Umgebung gibt es diverse bekannte Ausflugsziele wie den Mummelsee und die Hornisgrinde (den höchsten Berg des Nordschwarzwalds, gut 1150m hoch).
Die Tonbach-Traube liegt am Ende eines verschlafenen Seitentals, in das sich eigentlich nur Wanderer und Hotel- bzw. Restaurantgäste verirren. Das ursprünglich wohl ziemlich kleine Hotel wurde nach und nach erweitert, indem immer mehr umliegende Häuser aufgekauft und zu Gästehäusern umfunktioniert wurden. Inzwischen scheint der Weiler fast komplett in der hand der Familie Finkbeiner zu sein. Eigentlich die perfekte Lage für ein Spitzenrestaurant!
Dass der Ort ziemlich hoch gelegen ist, bemerkt man beim Klima. Hier ist es deutlich kühler als im Rheintal, was mir persönlich gerade bei derartigen Anlässen sehr entgegenkommt. Auf den umliegenden Bergen waren sogar noch diverse Schneereste zu erkennen (am Vortag machten wir eine echte Schneewanderung an der Hornisgrinde), während im Tal durchaus schon T-Shirt-Wetter herrschte (und es im Rheintal satte 25°C gab).

Ambiente
Von außen wirkt das Gebäude sehr ansprechend. Die Terrasse lädt zum draußen sitzen ein, die gehört aber natürlich zu einem der anderen Restaurants. Wenn man das Gebäude betritt, ist man von sehr viel Holz umgeben. Es gibt rund um die Bar einen sehr großzügigen Wartebereich mit Sesseln. Im eigentlichen Gastraum gibt es ebenfalls viel Holz (besonders die Decken sind extrem aufwändig gearbeitet), alles wirkt aber etwas heller und frischer. Die Tische stehen hier überraschend eng beieinander. Man hat genug Platz, sitzt aber mitten drin (und kommt sogar mit den Tischnachbarn ins Gespräch). Bei entsprechenden Gästen könnte durchaus eine unangenehme Geräuschkulisse entstehen. Wir hatten allerdings Gestern den Eindruck, als ob außer uns praktisch nur Stammgäste da gewesen wären!

Personal
Das Personal ist überraschend locker. Es werden immer wieder mal kleine Witzchen gemacht, alles in allem entsteht so eine sehr entspannte Atmosphäre. Diese Lockerheit wirkt und ist aber nicht aufgesetzt. Auch in vermeintlich unbeobachteten Momenten wird untereinander geflachst. Diese Lockerheit geht in solch einem Haus natürlich nicht auf Kosten der Qualität. Das überraschend junge Personal versteht sein Handwerk zu 100%!
Natürlich ließen es sich der Patron des Hauses (Herr Finkbeiner) und Harald Wohlfahrt nicht nehmen, jeden Gast persönlich am Tisch zu begrüßen.
Obwohl wir zu den letzten Gästen gehörten (wir kamen um 11:40 Uhr und gingen um 18:20 Uhr), wurden wir immer bestens betreut. Als am Ende kein Taxi verfügbar war, fuhr uns selbstverständlich ein Page zurück zum Hotel.

Essen
Wie in derartigen Restaurants üblich, ist die Speisekarte sehr überschaubar. Auf insgesamt drei Seiten findet man eine handvoll Vorspeisen, Suppen, Zwischengänge, Hauptgänge und Desserts. Bei Preisen von ca. €48 bis €65 für eine Vorspeise sowie ca. €56 bis €75 für einen Hauptgang bietet es sich an, eines der Degustationsmenüs zu wählen. Hier werden nominell 5 bzw. 7 Gänge für €135 bzw. €178 angeboten, die optimal aufeinander abgestimmt sind.
Wir hatten einmal das große und einmal das kleine Degustationsmenu (siehe Foto – ich tauschte Gänseleberflan und Milchlamm gegen Langustine mit Jakobsmuschel sowie Peterfisch und Langustine in Kokosnusssud) sowie zwei à la carte-Bestellungen (Thunfisch in Sternanis-Beize, Bretonische Rotbarbe in Salzteig gegart und eine Sorbet-Variation sowie getrüffelte Entenleberballotine, gegrillten Hummer, Taube und eine Zuckerperle exotisch). Da wir in einigen Fällen die gleichen Gerichte hatten, konnten wir sehr gut die Mengen vergleichen. Die Portionen sind für die Degustationsmenüs verkleinert, drei bis vier Gänge à la carte entsprechen mengenmäßig etwa einem der Menüs. Allgemein ist man hier bei Änderungswünschen extrem flexibel. Alle unsere Wünsche (Portionsgrößen, Beilagen usw.) wurden sofort erfüllt.

Wie auch schon im Bareiss, wurden wir auch hier überrascht von der Anzahl der köstlichen „Extras“. Schon während der Wartezeit im Barbereich (wir kamen sehr früh an) wurden uns zu den Aperitifs die erstem Amuse Gueules serviert. Statt wie im Gastraum drei Kleinigkeiten gemeinsam auf einem Teller, bekamen wir diese einzeln serviert: Ein sehr edles Kressebrot, eine kalte und eine warme Kresse-Waldpilzterrine. Das war zusammen definitiv ein vollwertiger Gang, genau wie die danach servierten Häppchen! Am Tisch ging es dann weiter, u.a. mit exzellenten Variationen von der Makrele – ein Gericht köstlicher als das andere.
Schließlich ging es los mit den eigentlichen Gängen. Was es gab, habe ich ja schon oben beschrieben (siehe auch die Bilder). Hier deshalb nur noch die besonderen Beobachtungen.
Optisch war die „Zuckerperle“ die größte Überraschung. Eine große (ca. 10 cm) goldfarbene Kugel aus Zucker (passend mit Blattgold verziert), gefüllt mit Kokosschaum und Guaven-Sorbet. Die Kugel war komplett geschlossen, es waren keine Nahtstellen zu erkennen – wir haben nicht herausbekommen, wie man so etwas zaubern kann – siehe Fotos. Geschmacklich gab es viele Highlights, die Krustentier-Sauce zum à la carte-Hummer und die wilde Gamba fanden den größten Anklang. Die Sorbets waren ebenfalls ganz außergewöhnlich.

Unter dem Strich relativieren sich die hohen Preise für das Essen schnell wieder. Die Qualität der Speisen ist wirklich ganz außergewöhnlich und wohl nicht mehr zu steigern. Die vielen kleinen Extras, die ja ohne Berechnung bleiben, müssen ja ebenfalls irgendwo herkommen. Alle Änderungswünsche wurden ohne Aufpreis durchgeführt. Herr Wohlfahrt ist zusammen mit seinem Team definitiv der beste Koch, den ich bisher erlebt habe!

Getränke
Die Preise der Getränke sind für ein Haus dieses Niveaus durchaus sehr angenehm. Eine Flasche Mineralwasser für €5,90, das ist überraschend günstig. Auch die Espressos für €2,90 sind sehr preisgünstig, als zwei von uns einen zweiten Espresso bestellten, wurden die nicht mehr berechnet.
Die Weinkarte wirkt deutlich weniger mächtig als im Bareiss. Das liegt aber nur daran, dass sie in Buchform präsentiert wird, was deutlich praktischer ist. Es gibt relativ günstige Weine (auch unter €30), auch hier geht nach oben hin natürlich einiges. Man sollte sich aber ganz auf den ausgezeichneten Sommelier verlassen! Herr Gass hat als Franzose naturgemäß ein Faible für die dortigen Weine, was ja auch sehr gut zu einem „Französischen Restaurant“ passt. Es besteht die Möglichkeit, zu jedem Gang einen passenden Wein serviert zu bekommen. Wir taten das und haben es nicht bereut! Natürlich sind da auch Weine dabei, die €20 für ein Glas (ein Achtel?) kosten – aber unter dem Strich zahlt man nicht viel mehr als für eine oder zwei brauchbare Flaschen und hat dafür sehr viele neue Erfahrungen gemacht (wir hatten u.a. Weine aus Deutschland, Österreich, Australien, Südafrika und Frankreich)!
Auffällig ist, dass zu fast jedem Wein sehr interessante Geschichten erzählt werden. Als Weinliebhaber ist das ein echtes Plus!

Fazit
Nicht zu Unrecht stehen Koch und Restaurant seit sehr vielen Jahren ganz oben in den Deutschen und Europäischen Rankings (den dritten Michelin-Stern hält man ununterbrochen seit 1992). Wer einmal wissen möchte, was in der Küche möglich ist, sollte sich auf jeden Fall einen Mittag oder Abend in diesem Restaurant gönnen! Die Atmosphäre ist deutlich weniger förmlich als gedacht. Ich habe noch in keinem Spitzenrestaurant erlebt, dass Stammgäste offen fotografieren, teilweise sogar mit Blitz! Schade, dass man ein Essen hier so lange im Voraus planen muss…

Essen:
Bedienung:
Ambiente:
Sauberkeit:
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