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Alt 06.05.2005, 11:02   #6
Karl
Gast
 
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Geschmack

Hallo Günther,

zunächst einmal freut es mich, wenn dir meine Beiträge zusagen; daß wir dabei nicht immer einer Meinung sind, und auch nicht sein müßen, tut der Sache keinen Abbruch.
In der Tat - ich lebe seit Jahren vegan. Aber natürlich bin ich nicht vegan geboren, sondern habe den überwiegenden Teil meines Lebens auch Fleisch und Fisch gegessen. Ich weiß daher sehr wohl um den Geschmack dieser Lebensmittel.
Meine These, daß rohes, ungewürztes Fleisch nahezu geschmacklos ist, halte ich aufrecht.
Kau einmal ein Stück ungewürztes Rinderfilet und dann als Vergleich einen Apfel, eine Karotte, einen Kohlrabi, ein Stück Brot - kurz irgend etwas anderes - du wirst den Unterschied feststellen.

Nun möchte ich bei Gott nicht einen heiligen Feldzug wider das Fleischessen führen und in leuchtensten Farben die Vorzüge vegetarischer Ernährung preisen. Jeder soll essen, was ihm schmeckt. Leider kennen viele Menschen aber nur einen Bruchteil der zur Verfügung stehenden Lebensmittel, und die Auswahl dessen, was dann schmeckt, gerät entsprechend klein.

Einen Aspekt möchte ich an dieser Stelle allerdings aufgreifen: Genuß soll jedem erlaubt sein, aber jeder Genuß will auch verantwortet sein, und hier liegt einiges im Argen.
Vermutlich sind es noch die Nachwehen zweier Weltkriege, und der grauenhafte Hunger des Steckrübenwinters 1916/17 scheint sich tief in' s kollektive Gedächtnis gebrannt zu haben.
Wer will den Überlebenden verübeln, daß es in den 50'er und 60'er Jahren nicht fett genug sein konnte und Fleisch zum Inbegriff guten Essens avancierte ? Sich damals so richtig satt zu essen, dürfte ein Glücksgefühl beschert haben, das heute so unerreichbar ist, wie die selige Erinnerung an längst vergangene, kindliche Weihnachtsfreuden.
In diesem verständlichen Freudentaumel und dem damit verbundenen Wunsch, der uns im Faust so einprägsam dageboten wird mit den Worten "Wenn ich zum Augenblicke sprech, verweile doch du bist so schön.." dürfen wir nicht stagnieren.
Der Fleischkonsum, wie er heutzutage in den Industrienationen v.a. der westllichen Welt praktiziert wird, ist tödlich. Tödlich in zweifacher Hinsicht: Er tötet diejenigen, die sich diesen Fleischexzessen hemmungslos hingeben, und er tötet jedes Jahr Millionen Menschen, auf deren fruchtbarsten Flächen das Viehfutter für diese Fleischberge angebaut wird.
Unsere Maßlosigkeit in dieser Hinsicht ist drauf und dran diesen Planeten nachhaltig zu verwüsten. Um es auf einen griffigen Nenner zu bringen:

Die Hamburger-Gesellschaft hinterläßt eine Spur verbrannter Erde

Kann man dessen eingedenk noch bedenkenlos Fleisch essen ?
Ich denke ja, aber nicht gedankenlos ! Das Fleisch muß an den Tellerrand. Es sollte nicht mehr den Mittelpunkt einnehmen, den es bisher innehat, sondern als kleine, aber edle Beilage das Gericht aufwerten.
An Festtagen darf es meinethalben auch gerne in den Mittelpunkt rücken, der Alltag sollte anderen Gaumenfreuden gelten. Wir sind heute in der glücklichen Lage ganzjährig auf ein nahezu unüberschaubares Angebot von Obst, Gemüse, Gewürzen und vielem anderen mehr aus aller Herren Länder zurückgreifen zu können. Warum machen viele Menschen so wenig Gebrauch davon ? Betrachten wir es mal aus dem Gourmetblickwinkel: Ist ein Steak mit Folienkartoffel und Sauerahm wirklich aufregender als beispielsweise ein Risotto von Hirse und Steinpilzen ?
Die Gedankenlosigkeit mit der gegessen wird, gedankenlos bezüglich der eigenen Person, gedankenlos hinsichtlich Herkunft und Qualität der Lebensmittel, gedankenlos bezüglich der Erzeugung und der daraus resultierenden Konsequenzen, diese Gedankenlosigkeit finde ich unerfreulich.
Daher schließe ich mit dem Appell : Ein jeder sollte einmal losziehen und gezielt die Lebensmittel verkosten, die er noch nie gegessen hat ! Dabei muß ihn sein Weg keineswegs in die Exotenabteilung führen. Schwarzwurzeln, Mangold, Mairübchen, Pastinaken, Quinoa, Dinkelgries, diverse Hülsenfrüchte etc.etc sind Köstlichkeiten, die nur darauf warten entdeckt zu werden.
Ein gut gemachtes Rhabarberkompott kann weit aufregender sein als eine Physalis, Bamberger Hörnchen mit Kräuterquark ein geschmackliches Feuerwerk verglichen mit den allgegenwärtigen Pommes.
Also auf zu einer aufregenden Entdeckungsreise in die wahre Welt des Geschmacks. Ausgetretene Pfade einer lieblosen Einheitsfleischküche wird dabei niemand vermissen.
Der nächste Festtag kommt bestimmt und dann wird man ein gutes Stück Fleisch in exzellenter Qualität, mit handwerklicher Finesse zubereitet auch wieder zu schätzen und zu würdigen wissen.

Gruß
Karl
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